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Victoria

Der Film des deutschen Kinos 2015!

Preise gab es für die beste Kamera, beste Regie, beste Filmmusik und natürlich die besten Schauspieler. “Absolut gigantisch”, titelte die Zeit im Februar zur Berlinale. “Kein Film wie alle anderen”, schrieb die FAZ im Juni kurz nach Kinostart ohne sich damit zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Ohne Zweifel sprechen wir von Sebastian Schipper’s bislang größtem Erfolg. Dabei sind die Zutaten für diesen 140 Minuten langen und atemberaubenden Thriller genau betrachtet denkbar einfach. Wie so oft erzielen die einfachen Dinge auf den Punkt gebracht eben die größte Wirkung:

 

  • Berliner Hinterhof-Flair als Kulisse
  • Die Handlung gefüllt mit Comedy-, Action- und Liebesfilm-Elementen
  • Die Sprache realistisch gebrochen und in ihrer Wirkung noch verstärkt durch das Kuddel-Muddel Deutsch-Englisch, das die Berliner-Gangster-Truppe mit der spanischen Protagonistin Victoria spricht
  • Das Drehbuch auf gerade mal 12 Seiten schulbuchmäßig mit Spannungs- und Überraschungseffekten aufbereitet
  • Die Filmmusik an den richtigen Stellen entweder grandios wummernd oder mit reduzierten Pianoklängen das Publikum in seinen Bann ziehend.
  • Die Heldenreise der Protagonistin für jeden Zuschauer gut nachzuvollziehen
  • Und natürlich das Hauptmerkmal des Films Victoria: Gedreht in einer einzigen Einstellung. Ohne Schnitt! Mit viel Improvisation!

 

 

Ein Film lebt von mehr als nur der Kamera!

Zugegeben, die Idee einen Spielfilm im One-Cut zu produzieren ist nicht neu: Timecode von 2000 und Russian Ark von 2002 bedienten sich auch bereits dieses cineastischen “Kniffs”. Hitchcock setzte bei fast allen seinen Filmen verstärkt auf wenige Schnitte. Doch in der deutschen Filmlandschaft gleicht jene Regie-Entscheidung tatsächlich einem großen Wagnis. Kein Wunder also, dass sich die Medien bereits im Vorfeld hungrig auf Sebastian Schipper stürzten.

Das Wagnis hat sich in jedem Fall gelohnt. Und zu verdanken ist das keineswegs nur der fleißigen PR-Maschinerie:

Ich persönlich habe im Kino sehr schnell den Unterschied bemerkt und wartete in den ersten 10 Minuten fiebrig auf einen Bildwechsel. Das sagt viel aus über meine und wohl auch die Sehgewohnheiten der meisten Kinogänger. Eine Freundin, die nebenher in einem kleinen Münchner Kino arbeitet, erzählte mir sogar davon, dass es bei jeder Vorstellung Leute gäbe, die mitten im Film die Vorführung verlassen und eine Pause bräuchten. Es bedarf folglich eines Quäntchen Offenheit und vielleicht auch Neugierde, um sich auf Victorias Welt einzulassen. Einmal im Rhythmus des Films angekommen, tauchte ich dann aber ohne es groß zu bemerken tranceartig in die Geschichte ab. Streckenweise hatte ich wirklich das Gefühl vor Ort dabei zu sein. Von Schwindel, über Schweißhände bis hin zu Herzrasen litt ich physisch mit Victoria. Nach über 2 Stunden purer Gefühlsturbulenzen torkelte ich aus dem Kino heraus und hätte große Lust gehabt, erstmal eine ganze Packung Zigaretten zu rauchen. Und das obwohl ich zwischenzeitlich auch wieder aus der Geschichte rausgefallen war: Immer an den Punkten, wo mir die Inszenierung des Ganzen allzu bewusst wurde. Man könnte auch sagen, an den Punkten, wo die Geschichte für mich anfing unrealistisch zu werden.

Denn am Ende ist Victoria natürlich kein “Echtzeit-Thriller”, wie es im Spiegel zu lesen war. Und das ist auch gar nicht weiter schlimm. Schließlich gehen wir nicht ins Kino, um Realität zu erleben. Kino spiegelt im besten Fall subtil unsere Realität und unsere Erfahrungswelt, verpackt in eine mitreißende Handlung, wieder. Ein guter Film kann uns in wenigen Stunden etwas über uns selbst und unsere Sehnsüchte erzählen. Damit dies gelingt, bedarf es in vielerlei Hinsicht einer gezielten Inszenierung und manchmal eben auch unwahrscheinlicher Ereignisse, um die Story voranzutreiben. Nur einen Take zu verwenden, kann dabei helfen, muss es aber nicht.

Ich sehe davon ab, Euch mehr über den Handlungsverlauf zu erzählen. Victoria ist ein solch rauschhaftes Erlebnis, das sich für jeden lohnt (so weit es nach all den vielen Kritiken überhaupt noch geht) unvoreingenommen zu erfahren.

Stattdessen möchte ich gerne noch ein Paar Worte mehr zu dem Bild von Berlin, das hier gezeichnet wird, sagen. Immerhin ist Traveltastic ja in erster Linie ein Reiseblog 😉

 

Die ganze Welt zieht es nach Berlin!

Immer öfter war in den letzten Jahren zu hören, Berlin sei wie New York in den 80ern: Schmutzig und voll kreativem Potential! Berlin zieht (Lebens-) Künstler an, die sich nicht anpassen wollen, die an jeder Ecke etwas Neues entdecken wollen, die überrascht werden wollen. Hier fällt es leichter als woanders, sich neu zu erfinden oder sich vollends zu verlieren. Keiner anderen deutschen Stadt würde man im In- und Ausland mehr Internationalität zuschreiben. Das liegt natürlich auch an der relativ jungen, dafür aber umso bewegteren Geschichte der Stadt. Mit Berlin präsentiert man sich gerne über die Grenzen hinweg. Und so werden Filme, die auch etwas über Deutschland erzählen sollen, eben vorzugsweise nicht in München, Hamburg oder Frankfurt gedreht. Der Coolness-Faktor der Hauptstadt ist seit dem Mauerfall zum Selbstläufer geworden.

Die Annahme in keiner anderen deutschen Stadt ließe sich besser feiern als in Berlin, wird auch in Victoria wieder bestätigt. Der Besuch beim Späti kann in Berlin selbst die Straße zur besten Party-Location überhaupt machen. In Berlin gibt es gefühlt an jeder Ecke tagsüber immer gut besuchte Cafés und Restaurants. Kaum ein Student der noch nicht unter Mindestlohn irgendwo gekellnert hätte. Und natürlich arbeitet auch Victoria in so einem Lokal. Nicht fehlen darf auch das aus Film- und Fernsehen bereits bekannte Hochhausdach als bester und intimster Ort einer Großstadt. Sinnbild für die Sehnsucht über den Dingen zu stehen und selbst am Abgrund noch übermächtig zu sein – oder was auch immer man in diese Metapher hinein interpretieren möchte.

Berlin steht aber auch für leere Kassen und falsche Investitionen, wie kaum eine andere Stadt. Deutschlands marodes Bildungssystem wird anhand diverser Berichte aus Berlins “Problem-Vierteln” immer wieder gerne vorgeführt. Wer in seiner Jugend nicht die richtige Schule besucht oder nur wenig Familienrückhalt erfährt, für den sind die beruflichen Perspektiven hier nahezu hoffnungslos. Gefangen in diesem Sog können die vier “echten Berliner Jungs” aus Victoria letztendlich auch davon ein Lied singen.

 

One comment

  1. Dein Beitrag hat mich sehr zum Nachdenken angeregt, denn ich bin in Berlin geboren und kenne alle diese Probleme aus dem Film nur zu gut.
    Ich werde mir Victoria auch anschauen, dennDu hast mich neugierig gemacht!!!

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